Aber alle haben es sich doch vorstellen können!
Es gab keinen Toten. Die Geschichte, die ein Helfer des Vereins „Moabit hilft“ auf Facebook teilte, dass ein von ihm betreuter syrischer Flüchtling beim endlosen Warten vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) krank wurde und dann starb, war erfunden.
Das ist, wie „Tagesspiegel“-Chefredakteur Lorenz Maroldt heute im „Checkpoint“ schreibt, keine Katastrophe. Eine Katastrophe wäre es gewesen, wenn da tatsächlich ein Mensch gestorben wäre. Die Lüge ist nur ein Drama.
Aber in der Art, wie das alles gestern eskalierte, erst die Wut und die Trauer, dann der Zweifel und der Verdacht – da konnte es für einen Augenblick fast schon erscheinen, als wäre das der schlimmstmögliche Ausgang: Dass sich die Geschichte als falsch herausstellt. Dabei ist es nur der zweitschlimmstmögliche Ausgang.
Der „Tagesspiegel“-Artikel, der das ganze gestrige Geschehen schildert, die Reflexe und die Recherchen zusammenfasst, endet mit einem Satz, der von vielen geteilt wurde in den sozialen Medien:
So verworren der Fall ist, eine Erkenntnis gibt es. Niemand – nicht die Politik, nicht die Helfer, nicht die Presse – hat den Tod eines Menschen am Berliner Lageso auch nur einen Moment lang für unwahrscheinlich gehalten.
Das ist keine Erkenntnis. Das ist ein gefährlicher Gedanke. Er suggeriert, dass die Geschichte über den toten Flüchtling vom Lageso nicht wahr sein muss, um wahr zu sein. Dass es genügt, dass alle sich vorstellen konnten, dass sie wahr ist. Dass auch ein toter Flüchtling, den es gar nicht gibt, als Beweis dafür taugt, wie furchtbar die Zustände dort sind.
Ich habe keine Zweifel, dass die Zustände am Lageso tatsächlich furchtbar sind. Aber die erfundene Geschichte bestätigt das in keiner Weise, denn: Sie ist erfunden. Sie liefert uns keine neuen Erkenntnisse über das Lageso. Sie sagt uns nichts, was wir nicht schon wussten über die Zustände dort. Sie erzählt uns aber viel über die neue Welt der Informationsverbreitung. Über die Gefahr, unbestätigte Nachrichten zu verbreiten und Einzelfälle als Beleg für das große Ganze zu nehmen.
Der Gedanke, dass niemand es für unwahrscheinlich hielt, dass ein Flüchtling am Lageso gestorben ist, zielt in zwei Richtungen. Er wirkt einerseits wie eine Entschuldigung dafür, die Information verbreitet zu haben, weil sie ja wirklich nicht abwegig schien. Er ist andererseits aber auch das Gegenteil. Er wiederholt und verstärkt den Angriff.
Gestern sagten mehrere Oppositions-Politiker, der Sozialsenator müsse zurücktreten, wenn wirklich ein Mensch vor dem Amt ums Leben gekommen sei. Sie wussten noch nicht, was passiert ist, wussten aber schon, welche Konsequenzen es haben müsste, wenn es passiert sein sollte. Sie wollten ihre Rücktrittsforderung schon einmal deponieren, vorsorglich; sie erhöhten den Einsatz, maximierten die Aufmerksamkeit, ohne zu wissen, für was eigentlich.
Wenn man Christopher Lauer, Mitglied des Abgeordnetenhauses, heute hört, klingt es fast, als würde auch die Tatsache, dass ein solcher Todesfall von vielen für möglich gehalten wurde, schon reichen, damit der Sozialsenator zurücktreten müsse. Aber die oft katastrophale Situation am Lageso war und ist bekannt. Es spricht viel dafür, dass der Senator dafür die Verantwortung übernehmen und zurücktreten sollte. Aber es spricht seit gestern nicht mehr oder weniger dafür.
Ein Ereignis, das nicht passiert ist, sollte keine solche Wirkung haben.
Vielleicht reagiere ich an dieser Stelle besonders empfindlich, weil mich die nachträgliche Trotzreaktion an viele Diskussionen in sozialen Medien erinnert, wenn man Leuten nachweist, dass der Fall, über den sie sich gerade empören, gar nicht existiert. Sie empören sich über einen konkreten Aufreger, und wenn dieser Aufreger verschwindet, weil er sich als Gerücht entpuppt hat, als Desinformation oder als Missverständnis, mindert das trotzdem nicht ihre Empörung. Gut, mag ja sein, dass da jetzt konkret dieser Asylbewerber kein Mädchen vergewaltigt hat, sagen sie dann, aber man weiß doch eh, wie die sind. Gut, mag ja sein, dass diese WDR-Mitarbeiterin da Unsinn gesagt hat über pro-regierungsfreundliche Vorgaben bei den Öffentlich-Rechtlichen, aber man weiß doch eh, wie die sind.
Ein konkreter Anlass führt dazu, Aufregung und Aufmerksamkeit auf ein neues Niveau zu heben, aber wenn man den Anlass dann entfernt, sinkt es trotzdem nicht wieder.
Man spiele im Geiste die „Aber schlimm genug, dass man es sich vorstellen konnte“-Argumentation mit einer der vielen falschen Geschichten über böse, kriminelle, gefährliche Flüchtlinge. Es hilft alles nichts, die einzige Grundlage, auf der wir Diskussionen über die Zustände am Lageso oder Gefährlichkeit von Flüchtlingen führen können, sind Tatsachen. Gefühltes Wissen hilft nicht, es schadet. Dass sich so viele Menschen vorstellen konnten, dass ein Flüchtling am Lageso stirbt, sagt womöglich genau so viel darüber, wie überhitzt die Diskussion ist, wie über die tatsächliche Lage.
Und seien wir ehrlich: Die Art, wie das Lageso-Schauermärchen gestern von vielen geteilt wurde, war ähnlich unreflektiert und reflexhaft wie die Art, wie Fremdenfeinde und Flüchtlingsgegner Schauermärchen über Schandtaten von Ausländern verbreiten. Natürlich gibt es Unterschiede: Es ist etwas anderes, wenn jemand eine vermeintliche Information teilt, um ein Ressentiment gegen eine ganze Gruppe zu verstärken. Es ist ein Unterschied, ob durch eine Welle auf Facebook eine ganze Gruppe von Menschen stigmatisiert wird oder der Druck auf eine unfähige Landesregierung erhöht wird.
Aber der Kurzsschluss ist derselbe: Aus Sicht desjenigen, der ein solches Gerücht teilt, steht der einzelne Fall für alles, was gerade schiefläuft. Dass die Geschichte von dem vermeintlichen Tod des syrischen Flüchtlings in Berlin massenhaft geteilt wurde, war nicht nur problematisch, weil sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht überprüft war. Problematisch war vor allem, dass sie, ohne dass die Details bekannt gewesen wären, als perfekter Beleg für die Menschenfeindlichkeit des Umgangs der deutschen Bürokratie mit Flüchtlingen gedeutet wurde. Ein Mensch, der auf der Flucht riesige Distanzen und Risiken überwunden hat, stirbt dann in Berlin an Unterkühlung, darin steckt so viel Symbolik. So stand es auf einem Zettel, der an der Tür der Organisation „Moabit hilft!“ stand:
Dabei stimmt auch, was der „Tagesspiegel“ schreibt:
(…) selbst wenn sich herausstellte, dass der kranke Syrer keine Erfindung war, hieße das noch nicht, dass es einen Zusammenhang zwischen seinem Tod und den Zuständen am Lageso gibt. Oder ob der junge Mann, so zynisch es klingen mag, auch in jeder anderen Stadt bei bester Versorgung gestorben wäre.
Auch für diese Möglichkeit, diesen Gedanken, dieses Abwarten war gestern bei all den Wir-haben-es-kommen-sehen-Reflexen kein Raum. Es war noch nicht einmal klar, ob jemand überhaupt gestorben ist, da stand für viele schon fest, wofür sein Tod steht.
Was können wir lernen, aus dieser und den ganzen anderen furchtbaren Geschichten dieser Tage, die sich als Gerücht verbreiten? Es ist unrealistisch anzunehmen, dass jeder, der eine Meldung auf Facebook sieht, sie prüft, bevor er sie teilt und weiter verbreitet. Es wird auch im besten Fall kaum jemand zum kleinen Recherchedienst, der bei der Berliner Feuerwehr nachfragt, bevor er eine plausibel klingende Behauptung aus womöglich nicht einmal unglaubwürdiger Quelle weiterreicht.
Das kann man von niemandem erwarten. Was man aber erwarten können müsste, wäre ein Innehalten. Ein kurzes Zögern, ob diese einzelne Geschichte, die da gerade die Runde macht, wirklich als Symbol für alles taugt, für das große Ganze. Ob sie wirklich schon genügend Tatsachen enthält, um sie zum Fanal zu stilisieren.
Leicht wird das nicht, das zu lernen: innezuhalten und zu zögern und vielleicht erstmal den Ball flach zu halten. Weil scheinbar alles für das Gegenteil spricht: die simple Technik, der Sog der anderen, die eigene Empörung. Aber wenn wir das nicht lernen, wird der gegenwärtige Alptraum aus Erregung und Desinformation immer schlimmer.
Es gibt genug tote Flüchtlinge, z. B. im Mittelmeer.
Es gibt halt nur (noch) keinen Toten beim LaGeSo.
Erschreckend finde ich das hier:
„Aber die erfundene Geschichte bestätigt das in keiner Weise, denn: Sie ist erfunden. Sie liefert uns keine neuen Erkenntnisse über das Lageso.“
Die Geschichte ist eigentlich nicht erfunden.
Sie findet nur in der Zukunft statt, in einer gar nicht so weit entfernten Zukunft.
Hätte die Kältewelle von vor 2-3 Wochen so angehalten, wäre die Geschichte bereits heute real, da bin ich mir sicher.
Die Tatsache, dass nun die „Lüge“ des Helfers im Mittelpunkt steht ist m. E. Kalkül der rechten Öffentlichkeitsarbeit.
@Anderer Max: Aber Sie merken schon, wie sehr Ihre Argumentation der von Fremdenfeinden ähnelt, die sagen: Die Geschichten über die massenhaft kriminellen Flüchtlinge sind nicht falsch, sie sind nur aus der Zukunft?
Und ich würde eine Lüge dann doch schon gern eine Lüge nennen und nicht eine „Lüge“.
Ui. Gleich der erste Kommentar bestätigt eine zentralen Gedanken des Artikels: Das nicht die tatsächliche Wirklichkeit wichtig ist, sondern die gefühlte. Und dass sich viele durch die Unterschiede zwischen beiden auch gar nicht beeindrucken lassen.
Ein wenig deprimierend ist das schon.
Was man blöderweise bei der ganzen unschönen Geschichte nicht vergessen darf: Der „Verursacher“, ein PR-Profi, der sein Engagement für die Unterstützung von Flüchtlingen in der Vergangenheit gerne in allen Medien verbreiten ließ war so etwas wie ein „Vorzeige-Helfer“, dutzendfach in der Presse zitiert, mit langen Artikeln gelobt und fast schon heilig gesprochen. Er war in der Helfer-Szene in Berlin so was wie eine Ikone, jeder andere Helfer war ob seinem Engagement fast beschämt. Dass nun ausgerechnet diese hilfsbereite Lichtgestalt ihre dunkle Seite – oder ihre Hilfsbedürftigkeit, was für ein Anachronismus – dermaßen deutlich offenbarte ist für alle Involvierten irritierend. Dass man auf ihn hereinfiel ist nichts, was man sich vorwerfen lassen muss, es ist auch kein Beweis für Leichtgläubigkeit oder der Wille zum Verschwörungsglauben o.Ä. Aber eins ist klar: Der Helfer benötigt selber dringend Hilfe.
@Stefan Niggemeier
Der Alptraum aus Erregung und Desinformation wird umso schlimmer sein, je näher die Landtagswahlen im März rücken, das ist leider unvermeidbar! Dazu steht für alle Parteien und Meinungshoheitler zuviel auf dem Spiel.
Ich habe bei der Meldung gezögert und sie nicht sofort weitergeleitet.
Nur…..dummerweise kann ich mir das nicht als gebotene Skepsis anrechnen und mir vormachen, ich wäre überlegter an die Sache herangegangen als andere. Denn ich habe erst von dem Vorfall gehört, als in den Zeitungsmeldungen im letzten Absatz bereits Zweifel an der Story geäußert wurden. Erst das machte mich nachdenklich.
Daher: Volle Zustimmung zum Artikel und ganz selbstkritisch: Eine ungeprüfte Weiterleitung hätte mir auch passieren können, wenn ich eine Stunde früher von dem Vorfall gelesen hätte.
Notiz an mich: Skepsis-Radar justieren!
@Stefan Niggemeier: Danke! That’s it. Es ist vielleicht menschlich, wenn ein paar Social- Media-User einem Affekt erliegen. Aber es ist nicht mehr als Profession zu beschreiben, wenn Journalisten ihre Aufgabe offenbar darin sehen, diese Affekte ungeprüft zu ventilieren. Daran entschärft auch der Hinweis nichts, dass die Behörden das noch nicht bestätigt hätten usw. Professionalität bedeutet im Journalismus, begründete Auswahlentscheidungen nach gesellschaftlicher Relevanz zu treffen. Mit der Tragweite der Nachricht steigt dabei auch der Anspruch an die Quelle. Dasselbe gilt für Politiker, die als O-Ton-Gebet auch den Rechtsstaat und gesellschaftliche Konventionen repräsentieren. Wenn Herr Lauer es erst meint, wie er hinterher auch noch auf seiner Entgleisung insistiert: „Es ist ganz einfach: Frank Henkel und Mario Czaja tragen die Schuld, dass sich das Gerücht überhaupt derart rasant verbreiten und die halbe Stadt verrückt machen konnte. “ – dann möge ihm und den von ihm Vertretenen erspart bleiben, dass er jemals exekutive Verantwortung übernähme.
Pardon, es muss natürlich heißen „O-Ton-Geber“ und „Herr Lauer es ernst meint“
Du schreibst: „Das ist keine Erkenntnis. Das ist ein gefährlicher Gedanke. Er suggeriert, dass die Geschichte über den toten Flüchtling vom Lageso nicht wahr sein muss, um wahr zu sein. Dass es genügt, dass alle sich vorstellen konnten, dass sie wahr ist. Dass auch ein toter Flüchtling, den es gar nicht gibt, als Beweis dafür taugt, wie furchtbar die Zustände dort sind.“
Dein Schluss stimmt aber so nicht. Es wird im zitierten Artikel nicht behauptet: „dass sich jemand einen Todesfall ausgedacht hat, zeigt, dass die Zustände schlimm sind“. Sondern: „dass niemand überrascht war, zeigt, dass die Zustände schlimm sind“.
Und Letzteres stimmt auch: Gäbe es nicht die vielen Probleme, die vielen Berichte darüber und die Aussagen à la „muss erst ein Mensch sterben, bis sich was ändert“, wäre die Presse, wären die Leute in den sozialen Medien skeptischer gewesen.
Danke für diesen Artikel, ich begann schon an mir zu zweifeln,
ob eine Lüge weniger schlimm ist, wenn sie ja hätte wahr sein können.
Aber davon ab, ist es eigentlich normal, dass wenn man einen schwerkranken Menschen in der Wohnung hat, der kurz vorm Kollabieren ist – man erstmal im Chat um Rat fragt bzw. in der weiteren Folge parallel weiterchattet?
Oder anders gefragt, früher machte man Wadenwickel und rief nen Doc, heute geht man erstmal in nen Chat?
Spätestens da hätte man nachdenklich werden müssen – oder eben auch nicht,
da dies ja offensichtlich normale Vorgehensweise ist. Irgendwie bizarr;-)
Noch ein Nachtrag:
‚Mit dem Tod scherzt man nicht.‘ ist ein Satz meiner Oma als ich Kind war.
Da war ich sicher nicht die Einzige, die das so oder in ähnlicher Form mal hörte,
entsprechend sensibel ging man dann auch damit um.
Vielleicht auch ein Grund, warum man das so schnell als ‚bare Münze‘ nahm,
weil sich niemand vorstellen konnte, dass sich beim Thema Tod jemand einer üblen Lüge bedient.
Also in Romanen, Filmen und so, gibts das schon, aber doch nicht im wahren Leben!;-)
Ich will damit sagen, das Thema Tod war noch nie ein Tabuthema, im Gegenteil,
aber es war ein sensibles Thema, was immer auch etwas mit Respekt und Würde verwoben war,
und wer eine Todesnachricht überbringen musste, sollte sich sicher sein, dass dies auch stimmte,
andernfalls wirft es kein gutes Licht auf denjenigen.
Diese Hemmschwelle scheint mit dem Vorfall von gestern irgendwie gebrochen.
#10 Marian: … Sondern: „dass niemand überrascht war, zeigt, dass die Zustände schlimm sind“.
Was sind heutzutage in dieser abgeklärten Welt noch Überraschungen?
– dass sich nicht helfen lassende Obdachlose erfrieren > passiert, keine Überraschung
– dass Menschen Suizid begehen, weil sie nicht mehr weiter wissen > passiert, keine Überraschung
– dass mit einem Mordsarsch einer Kim K. Knete gemacht wird > passiert, keine Überraschung
Dass ein Flüchtling wochenlang und zusehends ‚ausgemergelter‘ vor dem Lageso nächtigt,
das hat nichts mit Überraschung zu tun, sondern mit wie glaubwürdig ist das?
Ok, ich kenne die Zustände da wirklich nicht, sie mögen schlimm sein, aber ich kann mir nicht vorstellen,
dass sich ein Mann über Wochen vor einer Behörde zu Tode hungert und friert, zumal dieser ja angeblich bei ‚Moabithilft‘ bekannt war. Wie geht sowas zusammen?
Erst kurz vorm endgültigen Kollaps nimmt ihn dann wer mit nach Hause, fiebernd, mit Schüttelfrost, zunehmend apathisch,
und – hockt sich erstmal vor den PC.
Das ist mE völlig abgefahren.
Davon Überraschung oder auch keine Überraschung abzuleiten? Ich weiss nicht so recht …
Ich sag’s ‚mal so: Es ist egal, was geteilt wurde, egal. Facebook ist ein Sammelbecken für und eine Spamschleuder von R#tz sondergleichen. Ähnlich wie die Googlesuche viel zu oft unbrauchbar ist, weil sie beispielsweise Ergebnisse von anno dazumal auswirft, wird der Sch#ißhaufen in meiner Timeline tagtäglich größer und größer, dass die Lichtblicke oftmals untergehen, und das ist erschreckend, denn hinter jedem Kommentar, Posting oder geteilten Inhalt verbirgt sich ein jemand. Dank Facebook habe ich vor dem Großteil meiner Bekannten und „Freunden“ bereits den Respekt verloren.
Die Kollegen des Medienmagazins „On the Media“ vom öffentlichen Radionetzwerk NPR haben für solche Fälle so genannte “ Breaking News Consumer Handbooks“ entwickelt.
http://www.onthemedia.org/tags/breaking_news_consumers_handbook/
An dieser Stelle finde ich den Vergleich zum Kachelmannprozess wichtig: kreuziget ihn! Kreuziget Ihn!! KREUZIGET IHN!!!1!
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Wie, die Anschuldigungen sind haltlos, weil erfunden? Egal! Der Hund muss sitzen, lebenslang, er, der Frauenfeind!
…
Wenn ich mich recht entsinne, war das so ungefähr die Haltung der Feministinninen, zuvorderst Frau Schwarzer. Fakten und professionelle Gutachten zählten nur noch wenig, wenn sie dem eigenen Anliegen widersprachen.
Ein vergewaltigender Kachelmann ist genauso vorstellbar wie ein Lagesototer. Konsequenzen, herbei! Wie, stimmt alles nicht? Egal, die Agenda sitzt, weitermaschieren! Ich setz‘ doch hier nicht meine Konsequenzenforderung aus, nur weil so dahergelaufene Investigatoren versuchen, faktisch die Luft aus der Sache zu lassen.
Und so dreht sich das Karussell immer weiter, und die gesellschaftlichen Interessensvertreter spielen ihre Rollen, und Otto Normalbürger steht daneben,schaut zu und packt sich an den Kopf. Mehr als sich wegdrehen kann er nicht.
@ Stefan Niggemeier: Stimmt schon, Lüge ist Lüge und sollte nicht differenziert werden, nur weil sie einem ideologisch nicht in den Kram passt.
Jedoch sind -10°C und Schnee deutlich gefährlicher für das Leben des Einzelnen, als die Bedrohungslage durch den Zuzug von Flüchtlingen für die deutsche Gesellschaft.
Was ich meine: Das eine ist subjektiv lebensbedrohlich, das Andere erst einmal nicht. Der Unterschied ist also ein quantitativer, kein qualitativer.
Ich meine, woanders wird auch gelogen (siehe Reichelt), aber das wird als „boulevardesque, kennt man ja nicht anders von dem typen“ weggelächelt.
Aber wenn einer den Tod eines Flüchtlings faked … Einen Tod der schon Tausendfach vorgekommen ist, nur halt noch nicht konkret und direkt auf dem Gelände des LaGeSo … *sigh*
„Über Medien“ – Darunter verstehe ich so etwas wie „Hintergründe, was die jeweiligen Medien aus einer Geschichte gemacht haben“ – So wie in Ihrer Ankündigung mit dem Sack Reis, was ich ziemlich genial fand.
Stattdessen: Bachelor gucken mit Sarah Kuttner … Ich weiß nicht …
Guter Kommentar. Er zeigt doch, was in der Flüchtlingsdebatte steckt. Es sind einfach zu viel Emotionen, es geht nur noch um das Recht haben. Egal von welcher Seite. Wir werden die Flüchtlingskrise nur von der Sachebene lösen. Dazu gehört, dass wir Kompromisse schließen, dem anderen zuhören, ihn versuchen zu verstehen. Wir sollten lernen bis drei zu zählen und uns dann erst eine Meinung bilden(Journalisten vielleicht sogar bis 10 und dabei recherchieren ). Rechthaberei hat bis jetzt jede Gesellschaft gespaltet.
Für mich ist noch ein anderer Aspekt wichtig: Es entstand von Anfang an der unangenehme Eindruck, als seien einige Stellen – allen voran die Helfer von „Moabit hilft“ – in gewisser Weise geradezu erleichtert gewesen, dass – böse formuliert – endlich mal einer vor dem Lageso gestorben ist, wovor sie ja schon wochenlang warnen. Also wurden flugs Facebook-Postings erstellt, der obige Zettel verfasst („Du hast das Lageso nicht überlebt“), Pressemitteilungen herausgegeben, Kerzen aufgestellt. Mit anderen Worten: Der Tod des Flüchtlings wurde eigentlich gar nicht betrauert, sondern sofort instrumentalisiert, ohne eine Sekunde des Nachdenkens und Schweigens. Denn sonst hätte man es ja zunächst mal bei Trauer belassen können, anstatt sofort den Bezug zum Lageso herzustellen oder gar Rücktrittsforderungen zu formulieren – zumal ja völlig unklar war, wieso und woran der Flüchtling gestorben sein sollte. Umso peinlicher dann die Entdeckung, dass es insgesamt eine Lüge war; trotzdem für mich gar nicht mal der entscheidende Punkt.
Ich möchte an dieser Stelle auch noch mal auf das mehr als zweifelhafte Verhalten der Vorsitzenden und der Sprecherin von Moabit Hilft, Christiane Beckmann und Diana Henniges, hinweisen. Sie haben meines Erachtens dafür gesorgt, dass in der öffentlichen Wahrnehmung die beiden relevanten Facebookposts incl Chats verifiziert wurden. In dem sie sowohl diese Traueranzeige gepostet haben, als auch später in einer offensichtlich völlig übereilten PK zitiert werden mit Sätzen wie: „Das Krankenhaus, in dem der 24-Jährige gestorben ist, ist uns bekannt, wir nennen es aber noch nicht“.
Das klang für viele, auch im ersten Moment mich, wie die zweite Quelle.
Natürlich ist Moabit Hilft eine Interessensgruppe und sicher fährt die Vorsitzende hier eine eigene Agenda. Und sie hat damit der ganzen Flüchtlingshilfe mal ordentlich ins Knie geschossen.
Ausdrücklich keinen Vorwurf will ich den meisten Medien machen, die aus meiner Sicht sehr vorsichtig berichtet haben und von Anfang an geschrieben hatten, dass der Fall noch nicht bestätigt werden konnte von Feuerwehr, Krankenhäusern etc.
Die Pro-Lügen stehen den Contra-Lügen in nichts nach. Dass die eine Sorte in den Mainstream-Medien viel unkritischer verbreitet und anschließend noch verteidigt wird, lässt sich aber an diesem Fall sehr gut belegen: „Niemand ..hat den Tod eines Menschen am Berliner Lageso …für unwahrscheinlich gehalten.“
Ich habe mich tatsächlich gewundert, dass ein 24jähriger in so einer Lage einfach wegstirbt, wenn er nicht sonst schwer krank ist. Wer erschöpft ist und nicht mehr auf der Flucht, legt sich irgendwohin, bis es ihm besser geht. Das sagt zumindest der gesunde Menschenverstand, an dem gerade es aber wohl vielerorts mangelt.
Das ist die Grundlage einer weltfremden Empörungs- und Betroffenheitskultur, die von vielen Medien viel bereitwilliger verbreitet wird als Tatsachen, die ihr im Weg stehen wie zum Beispiel die Nacht von Köln:
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/wieso-europarats-abgeordnete-den-deutschen-die-leviten-lesen-14039702.html
Das fällt jedem auf, nur die deutschen Medien sind beinahe immun gegen solche Selbsterkenntnisse, wie auch Thomas Meyer beklagt:
http://www.amazon.de/Die-Unbelangbaren-politische-Journalisten-mitregieren/dp/351812692X/
@ Stanz:
„… endlich mal einer vor dem Lageso gestorben ist, wovor sie ja schon wochenlang warnen.“
Die Menschen sterben doch schon lange.
Wieso ist es so interessant, ob sie vor einem deutschen Landesamt sterben oder im Mittelmeer ertrinken?
Wieso wird denn dort nun ein qualitativer Unterschied gemacht?
Aber bei der „Lüge“ eines Helfers ja, da müssen wir alle ganz fein aufpassen… Warum eigentlich?
Oder eben nicht gar nicht differenzieren, denn „Lüge ist Lüge“.
Dann müssen wir aber auch so konsequent sein und den (definitiv existenten) toten Flüchtling im Mittelmeer, wie den (nicht existenten) toten Flüchtling vor dem LaGeSo behandeln.
#21 Anderer Max:
> Die Menschen sterben doch schon lange.
> Wieso ist es so interessant, ob sie vor einem deutschen Landesamtsterben oder im Mittelmeer ertrinken?
> Wieso wird denn dort nun ein qualitativer Unterschied gemacht?
War diese Wahrnehmung jemals anders?
Menschen sterben täglich auf der Welt, in Kriegen, durch Bomben oder Drohnen, durch Hunger und Elend, durch Naturkatastrophen.
Je weiter entfernt es passiert, umso weniger emotionalisert es uns,
eine Frage der Distanz irgendwie.
Sämtliches Elend dieser Welt tagtäglich zu betrauern, geht das? Geht das ständig und auf Dauer? Stumpft man ab oder wird depressiv?
Ich habe immer wieder Respekt vor Stefan Niggemeier, der es schafft wie kein anderer, einen Schritt zurück zu treten, sich die Situation in Gänze anzuschauen und dann ganz objektiv zu urteilen.
Alle Achtung, Stefan Niggemeier. Gerne mehr davon! Sehr lesenswert und sollten viele Menschen in diesem Land lesen und sich ihre Gedanken darüber machen!
#19 Stanz:
Ja, sehe ich ähnlich. Allein der zeitliche Ablauf, innerhalb weniger Stunden eine halbe Stadt in Aufruhr, dazu eine in wenigen Minuten verfasste Traueranzeige:
‚Jeder Satz.
Reduziert.
Monumental.
Anklagend.‘
…
@Taxus: „Stumpft man ab oder wird depressiv?“
Ich denke, von beidem ein bisschen, jedenfalls geht es mir so.
Mir geht es nicht um „alles Leid in der Welt“.
Es geht konkret um die Opfer von (Bürger)Kriegen, die sich auf die Reise aus ihrer Heimat machen, um hier (in der „westlichen“ Welt) ein besseres Leben zu suchen.
Ich sehe keinen Unterschied zwischen dem syrischen Flüchtling, der auf dem Weg im Meer ersäuft und dem, der vor einem deutschen Landesamt erfriert.
Mir ist auch egal, was für persönliche Schutzmechanismen man als Individuum entwickelt, um diese Realität im Alltag ausblenden zu können. Oder gar sich andere Schuldige zu suchen, weil man sich dann als Individuum keine Vorwürfe machen muss, selbst nicht mehr getan zu haben.
(Oder wie Herr Niggemeier in seinem Blog die Frage stellt „Reichen Klicks und Likes für ein soziales Miteinander?“)
„Wir“, also die westliche Politik trägt halt zu den Fluchtursachen bei.
Das kollektive Verantwortungsgfühl sollte uns nicht vollständig abhanden gehen aber auch nicht mit „German Angst“ verwechselt werden.
> „Wir“, also die westliche Politik trägt halt zu den Fluchtursachen bei.
Alles richtig, aber das wissen ‚wir‘ doch nicht erst seit gestern,
in wieviel x Talkshows wurde dies Pferd schon geritten.
Hat sich bisher irgendwas geändert?
Bekommen die Menschen in den großen Flüchtlingslagern, denen drastisch das zum Überleben notwendige Geld gekürzt wurde,
bekommen diese Menschen wieder mehr Geld?
Können der kleine regionale Bauer oder Fischer von ihrer Hände Arbeit wieder leben?
Darüber wird in einem Jahr noch getalkt werden bis zum Abwinken, ohne dass sich etwas am ‚Großen Ganzen‘ geändert haben wird, am ‚Kleinen‘ auch nicht.
„Alles richtig, aber das wissen ‚wir‘ doch nicht erst seit gestern,“
Ich denke mir so etwas aber nicht aus:
https://www.google.de/trends/explore#q=fl%C3%BCchtling
Wir tun so, als hätten wir bis Mitte 2015 davon nichts gewusst.
@Anderer Max:
Ich bestreite, dass die westliche Politik – wie Sie schreiben – zu den Fluchtursachen beitragen soll, ausgenommen die – gutgemeinte – deutsche „Willkommenskultur“ (ein Begriff, bei dem ich mittlerweile einen allergischen Ausschlag bekomme).
Ein paar Fakten muss man zur Kenntnis nehmen:
– Zum einen sind nicht alle der sogenannten Flüchtlinge tatsächlich politisch Verfolgte. Die Menschen aus nordafrikanischen Staaten z.B. flüchten zumeist nicht vor Verfolgung, sondern kommen hierher in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Die westliche Politik trägt hierfür keine Verantwortung, eher schon die Politik der Heimatländer.
– Soweit es um Flüchtlinge aus Syrien geht – nach wie vor die Hauptgruppe -, tobt dort ein erbarmungsloser Bürgerkrieg. Die Verantwortung des Westens für den Bürgerkrieg jedoch sehe ich nicht; es sei denn, man ist der Auffassung, der Westen hätte ganz am Anfang Assad in die Arme fallen sollen.
– Da es den „echten“ Flüchtlingen z.B. aus Syrien darum geht, einer ohne Frage lebensbedrohlichen Situation zu entkommen, stellt sich doch die Frage, warum nahezu ausnahmslos alle ausgerechnet nach Deutschland, Schweden oder Österreich wollen. Warum flüchten sie nicht z.B. nach Griechenland und bleiben dort? Das viel geschmähte Dublin-Abkommen wie auch Art. 16a Abs.2 GG haben ja schon Sinn, nämlich insofern, als an Leib und Leben bedrohte Flüchtlinge doch vor allem ein Interesse daran haben müssten, in das nächstbeste sichere Land zu kommen. Griechenland ist ein sicheres Land, genauso Italien etc. pp. Wenn also alle Flüchtlinge nach Deutschland, Schweden, Österreich weiterziehen, hängt das eben auch mit der Hoffnung auf ein besseres Leben zusammen; eine Hoffnung, die der deutsche Staat aber nicht erfüllen muss und m.E. auch nicht kann.
Ich finde die Hoffnung auf ein besseres Leben nicht verwerflich.
So einfach, wie Sie es schreiben ist es nicht: Einerseits die „echten“ Flüchtlinge, andererseits die, die „nur“ ein besseres Leben wollen.
Es gibt viele grautöne. Nein das stimmt nicht: Jeder dieser Menschen ist ein Individuum, wie Sie und ich. Mit eigenem Hintergrund und eigenen Beweggründen, die Flucht auf sich zu nehmen.
Wer, wenn nicht „wir“ westlichen Staaten könnte diesen Menschen denn ein besseres Leben bieten?
Wieviele Deutsche flüchten jährlich in andere Länder, weil es ihnen dort steuerrechtlich besser geht? Auch alles verwerflich? Oder nur wenn die Steuern mitflüchten?
Ob es mit Tod zu tun hat, dass die Medien gestern, selbst in Berlin mit hohem Konkurrenzdruck, so vergleichsweise distanziert an die Sache herangingen? Eine falsche Todesmeldung will man dann doch nicht haben, während ja sonst eigentlich Tempo und der immer immensere Außendruck, doch was und immer mehr zu bringen, weitgehend siegt.
Heute schon sind wieder auch kommentierende Überzeugung und Sicherheit bei der Handgranate (oder doch nur „Handgranate“, die bei nicht vorhandenem Splint nicht explodierte; auf einen Hof geworfen und nicht durch ein Fenster) in Villingen-Schwenningen schon wieder erheblich größer.
Ob es Medien etwas Druck nehmen könnte, wenn sie eine Art vorgefertigter „Defensiverklärung“ noch häufiger und direkter an entsprechende Meldungen im frühen Stadium pinnen a la „Ob tatsächlich das …. (als plausibel Gedachte) vorliegt, lässt sich derzeit noch nicht sagen. Für Einordnungen ist es derzeit noch zu früh, da sich auch in der Vergangenheit bei vergleichbaren Fällen (von Sebnitz über die frühen Islamismusterrorexperten bei Breivik bis zur 13-Jährigen u.a.) nicht der zunächst naheliegendst erscheinende Vedacht bestätigte.“
Nichts bringen und abwarten nimmt den Druck zumindest online nicht, und lässt vielmehr immer übertriebenere Gerüchte wachsen und verselbstständigen, mit denen man dann nachrecherchierend (bzw. totrecherchirend) noch mehr Arbeit hat.
Obs das Publikum goutiert ist natürlich eine andere Frage.
@Anderer Max: „Verwerflich“ ist das natürlich nicht, habe ich ja auch nicht geschrieben. Angesichts der erheblichen Überforderung unseres Staates halte ich es in der jetzigen Zeit gleichwohl für richtig, derlei Einwanderer zurückzuweisen.
Schade – aus meiner Sicht vergeben die Kommentatoren eine Chance. Nicht die „Flüchtlingskrise – Ursachen und Folgen“ ist hier das Thema. Sondern die, von den „Sozialen Medien“ beschleunigte, unreflektierte Verbreitung irgendwelcher Meldungen und die ebenfalls unreflektierte politische Reaktion darauf.
Ich spüre in den Worten von SN eine gewisse, stille Verzweiflung darüber, welche Veränderungen in der Kommunikation sich durch die neuen technischen Möglichkeiten ergeben haben – die er anfangs enthusiastisch begrüßte. Und eine Ratlosigkeit, wie eine Gesellschaft dieser Hysterie Einhalt gebieten kann.
Über dieses Thema sollten wir nachdenken. Es ist viel größer als die Flüchtlingsthematik.
Die Hoffnung war ja, dass Lügen durch die „Schwarm-Vernunft“ viel schneller entdeckt und neutralisiert werden (nach dem Wikipedia-Prinzip).
Jetzt scheint es so zu sein, als ob Lügen noch nie so einfach gewesen wäre. Und Lügen nicht mehr kurze, sondern zunehmende lange Beine bekommen.
Beängstigend.
Ich möchte mich ausdrücklich beim User Anderer Max bedanken, der hier deutlich macht, wie sehr sich „Willkommensklatscher“ und „Besorgte Bürger“ doch ähneln. Was Wahrheit ist und was Lüge, was Wunschdenken und was Realität, hängt doch bei vielen Menschen von der eigenen Ideologie ab.
Viel besser kann man diesen Artikel nicht bestätigen.
Meine Prognose: Es wird sich zuspitzen. Eine gefährlich große Menge von Menschen ist nicht mehr an Fakten interessiert sondern an ihren Gefühlen und deshalb werden Situationen konstruiert, die zu diesen Gefühlen passen. Aus einzelnen Versatzstücken von Wahrheit oder aus dem puren Nichts heraus entstehen Module der Lügenhaftigkeit, Gerüchte genannt, die sich auch bei Gegenbeweisen nicht ausrotten lassen. Die mentale Situation wird pathologisch und muss auch therapeutisch ausgeheilt werden. Dazu müssen die Medien neue Qualifikationen erwerben, zumindest diskutieren.
„Aber die erfundene Geschichte bestätigt das in keiner Weise, denn: Sie ist erfunden. Sie liefert uns keine neuen Erkenntnisse über das Lageso. Sie sagt uns nichts, was wir nicht schon wussten über die Zustände dort. “
Nein, das tut sie nicht. Aber sie erzählt uns Dinge über uns. Über das Wegschauen,über das Wissen „da geht was schief“, aber dem unwillen dagegen etwas zu tun.
Auch wenn die Geschichte falsch ist, so lässt sie die Fassade zerbröckeln. Einen Moment lange wurde uns wieder bewusst was das mögliche Ende des Leids am LaGeSo ist. Wenn die Menschen einen Rücktritt jetzt durch diese Geschichte fordern heisst das nicht, dass die Forderung unberechtigt ist, nur weil die Geschichte falsch ist – sie wäre dann vielleicht auch vorher berechtigt gewesen.
Das ist ein wenig wie in den Jugendfilmen auf KiKa, wo am Ende alles gut wird und jemand Dinge sagt wie: „noch können wir die Welt retten“. Die Geschichte ist falsch, aber der Satz bleibt hängen.
@#30 Anderer Max
„Ich finde die Hoffnung auf ein besseres Leben nicht verwerflich.“
Das ist sie ja objektiv auch nicht. Kennen Sie jemanden, der behauptet, diese Hoffnung sei verwerflich? Ich kenne niemanden, der so töricht wäre.
Der Streit geht ja ausschließlich darum, ob eine Politik verwerflich ist, die die Hoffnungen von Millionen Nichtbürgern und potenzieller Zuwanderer höher bewertet als die Befürchtungen der eigenen Bürger, deren Interessen sie objektiv in erster Linie verpflichtet ist. Es geht um die Frage, ob Deutschland der Weihnachtsmann ist bzw. sein sollte.
@Andreas Müller:
Nein.
Stefan Niggemeier: Ich finde schon, und zwar insofern, als es offenbar eine rein politische Entscheidung ist, die Flüchtlinge – oder einen Teil – nicht an der Grenze abzuweisen. Denn rechtlich gesehen wäre das eigentlich vertretbar. Schließlich kommen die Flüchtlinge alle aus sicheren Staaten zu uns, siehe Art 16a GG. Da die Situation in Deutschland zunehmend unkalkulierbarer wird, auch politisch, wäre es Aufgabe der Politik, eine Begrenzung der Zugangszahlen vorzunehmen. Sonst fliegt uns der Laden hier irgendwann auseinander. Da die europäische Lösung einer Begrenzung nicht funktionieren wird, hätte man schon längst mit Grenzsicherungsmaßnahmen beginnen müssen.
Ich frage mich auch, warum es eigentlich niemanden irritiert, dass wir das einzige Land in Europa sind, dass so verfährt. Anfang und Mitte des letzten Jahrhunderts waren wir das kriegerischste Land, heute sind wir das moralischste Land. Der rote Faden ist, dass wir immer glauben, besser zu sein als andere.
@Stanz und Andreas Müller
Ich empfehle ihnen beiden ein paar Tage in der Erstaufnahme von Flüchtigen zu helfen.
Das erdet sie u.U. und es entfallen Vergleiche wie „Weihnachtsmann“
Welche Verlustängste treibt sie denn? Was ist ihnen verloren gegangen oder werden sie verlieren durch die Flüchtlinge? Hilfe, Trost und Mitgefühl kann man nicht verordnen oder einfordern geschweige denn kann man dafür eine Gegenleistung erwarten bzw. fordern und doch ist es einfacher als sie zu glauben scheinen …
Um unsere christliches Abendland ist mach ich mir ernsthaft Sorgen wenn wir uns der Massen von Flüchtlingen nur mit Stacheldraht und Schießbefehl erwehren können. Grenzsicherung … schon wie das Wort klingt … Der „Laden“ fliegt uns nicht aufgrund der Flüchtlinge auseinander sondern aufgrund der Angst und Zaghaftigkeit, der Wut und dem Hass …
Wieso kann man sich nicht offen den Herausforderungen stellen, die mit den Flüchtlingen und zum Teil potentiellen neuen Deutschen kommen? Sind wir untergegangen an den Hugenotten, den Schlesiern, den Russlanddeutschen, den Vietnamesen, den Türken usw. die hierher geflüchtet sind und zum Teil geblieben?
Deutschland war schon immer ein Transit- ein Einwanderungsland … und auseinandergeflogen ist Deutschland nur aus Hass und Angst …
Wo sind diese Gefühle wenn man erfährt, das 62 Menschen soviel besitzen wie die Hälfte der Weltbevölkerung?
@Stanz
Noch eine Ergänzung zu Ihrer Anmerkung: „…Ich frage mich auch, warum es eigentlich niemanden irritiert, dass wir das einzige Land in Europa sind, dass so verfährt….“
Vielleicht machen wir das richtig und die anderen falsch? Vielleicht hat nicht immer die Masse recht? Vielleicht sollten wir die Chance wahrnehmen die andere ausschlagen? Vielleicht sollten wir einfach anderen moralischen Ansprüchen genügen als anderen alles nachzumachen …
Volle Zustimmung, Stefan Niggemeier. Ich werde nur daran erinnert, dass Sie während „Varoufake“ auch zunächst dem Neo Magazin Royale auf dem Leim gegangen sind und dafür ja seinerzeit auch in Ihrem Blog am 19.03.2015 dazu selbstkritisch Stellung bezogen. Ich vermute, auch dadurch sind Sie besonders sensibilisiert.
Ich denke, man kann den durchschnittlichen Social-Media-Nutzern nicht allzu viele Vorwürfe machen, wenn sie die Nachricht geteilt haben. Von Journalisten kann man erwarten, dass sie tiefergehend recherchieren, von Otto Normalmensch nicht unbedingt. Es war kein Gerücht, dass von irgendwoher heranschwirrte, es gab einen identifizierbaren Menschen, der ursprünglich für die Geschichte bürgte, einen Menschen, den man durch seine Aufgabe durchaus für glaubwürdig halten konnte. Und die großen Medien hatten die Nachricht verbreitet. Da ist es kein Wunder, dass viele User von Facebook und co die Nachricht für wahr hielten und sie teilten.
Viele haben es vorschnell für möglich gehalten, dass am LaGeSo ein Mensch sterben könnte. Aber es muss einen nicht wundern, dass sie es nicht für möglich hielten, dass jemand sich diese Geschichte ausdenkt.